Mein Knie tat heute weh, als ich merkte, dass ich zur falschen Bushaltestelle unterwegs war. Es war die richtige Linie, aber ich ging gerade einen Umweg. Umzukehren haette aber auch keinen Sinn gemacht, daher ging ich weiter. Bis ich an eine grosse Kreuzzung kam. Neben mir stand ein alter Mann. Ich wartete, dass die Ampel auf weiss (in Kanada gibt es kein gruen fuer Fussgaenger) umschaltete. Er wartete nicht. Er schaute zur Ampel, dann nach links und rechts und ging los. Nach etwa zwei Metern bekamen die Autos gruen. Der Mann fing an zu laufen. An der Mittelinsel blieb er nicht stehen, sondern beschleunigte nochmal seinen Gang, die ganze Zeit zur Ampel und auf die Autos zu seiner Rechten blickend. Die ersten beiden Fahrspuren ueberquerte er, auf der dritten erwischte ihn der langsam anfahrende Bus.
Als ich kurz drauf um den stehenden Bus herumging, sah ich den Mann dort in seinem Blut liegen. Ich frage einen Passanten, ob jemand den Krankenwagen gerufen haette. Der Busfahrer war gerade dabei. Der Mann atmete noch, dass sah man ein wenig an seinem Brustkorb, vor allem aber daran, dass in regelmaessigen Abstaenden Blut aus seiner Nase schoss.
Es dauerte ein paar Minuten, dann fing der Mann an sich zu bewegen. Jetzt sah ich, dass sein linkes Augenlid geschlossen war, darunter aber etwas war, dass die Groesse eines Tischtennisballes hatte. Ich hoffte fuer ihn, dass es Blut und nicht sein Auge war.
Der Verletzte hatte scheinbar Probleme mit seinem Gebiss. Die eine Haelfte seiner dritten Zaehne war auf die Strasse geflogen, die andere Haelfte befand sich aber noch in seinem Mund. Sollte ich sie rausholen? Konnte er sich daran verschlucken oder hinderte sie ihn beim atmen? Ich tat nichts. Nicht so sehr aus medizinischen Gruenden, als vielmehr, weil ich mich nicht traute in all das Blut in seinem Gesicht zu fassen. Das kann ich beim naechsten Mal noch besser machen.
Ein Passant kam hinzu und bald auch die Polizei. Mittlerweile wollte der Mann immer wieder aufstehen. Doch das ist ja nach so einem Unfall zu gefaehrlich. Wenn er einen Bruch der Wirbelsaeule oder des Schaedels hat, kann eine einfache Bewegung ihn umbringen. So standen wir zu dritt ueber dem Mann, versuchten auf ihn einzureden und ihn immer wieder sanft aber bestimmt auf den Boden zu druecken.
Als naechstes kam die Feuerwehr. Die versorgten seine Wunde von aussen, liessen ihn aber auch noch liegen. Dann endlich kam der Krankenwagen. Nach einem kurzen Check nahmen die ihn mit.
Dem Busfahrer schien es einigermassen gut zu gehen. Ich erklaerte ihm, dass der Mann bei rot ueber die Strasse gelaufen ist und gab ihm meine Telefonnummer. Dann ging ich.
Nach einer Dreiviertelstunde bekam ich einen Anruf von der Polizei, ich moechte bitte wieder zurueckkommen, um meine Zeugenaussage zu machen. Ich tat wie mir geheissen. In einem Polizeiauto musste ich dann alles selbst aufschreiben. Die Beamten hier duerfen einem scheinbar nicht dabei helfen, damit sie nicht in den Verdacht der Einflussnahme kommen. So erfuhr die Polizei zum ersten Mal, woher der Mann ueberhaupt gekommen ist, und wie der Ablauf des Ganzen war. Der Busfahrer hatte gar nichts gesehen und andere Zeugen gab es scheinbar auch nicht.
So war die Polizei sehr dankbar und ich erfuhr so nebenbei, dass in dem Nachbarschaftszentrum am Ende meiner Strasse auch ein kleines Polizeibuero ist. Dort gibt es auch einige Freiwillige, die z.B. Radarfallen aufstellen und andere interessante Sachen machen. Vielleicht sollte ich mich dort einmal melden.
Am naechsten Tag hat mich die Beamtin dann noch angerufen, um mir zu berichten, dass der Mann Rippenbrueche und einen Bruch des Jochbeines hat, ausserdem ein Blutgerinsel im Kopf. Nichts davon sei aber mehr lebensgefaehrlich. Er hatte es ueberlebt.