Ich habe natürlich trotzdem angerufen und herausgefunden, dass jemand etwas abzugeben habe. Was jedoch, wollte mir der Überbringer lieber nicht sagen. Ich habe eingewilligt, um dann später mit Erstaunen festzustellen, dass es eine gerichtliche Vorladung als Zeuge war, ausgestellt von dem Anwalt des Mannes, der im Januar bei rot auf eine siebenspurige Straße gelaufen ist und von einem Bus angefahren wurde. Offensichtlich verklagt der Mann, oder seine Familie, das Busunternehmen, weil... tja, vermutlich, weil der Bus frecherweise dem Mann nicht ausgewichen ist.
Ich habe mich sehr gefühlt wie Marlene Dietrich in dem Film Zeugin der Anklage. Warum um alles in der Welt, will die Anklage mich vorladen? Damit ich aussage, dass der alte Mann selbst Schuld ist, und nach meiner Meinung keinen Cent vom Busfahrer oder dem Busunternehmen bekommen sollte? Oder haben die Anwälte in meinem Protokoll irgendwas gesehen, dass ich selbst übersehen hatte? Wollten sie mich aufs Glatteis führen, wie dass in diesen Hollywood-Krimis immer wieder geschieht? Oder wollten sie beweisen, dass ich kurzsichtig, betrunken und unzurechnungsfähig war?
Wie dem auch sei, die nächsten zwei Wochen habe ich meine Mittagspausen damit verbracht diese echten Gerichtsverhandlungsserien am Fernsehen zu schauen. Außerdem habe ich im Internet recherchiert, wie das kanadische Prozesswesen aussieht. Dabei habe ich so interessante Sachen herausgefunden, wie, dass man den Richter beim Obersten Gericht von BC (und da sollte der Fall verhandelt werden) mit „My Lord“ bzw. „My Lady“ anzusprechen hat. Überall sonst in Kanada hat man mittlerweile das modernere „Mr/Mrs Justice“ eingeführt. Aber BC ist doch eben noch recht british.
Einige Zeit später bekam ich dann aber noch einen Anruf und zwar vom Anwalt des Beklagten. Er wollte mich ebenfalls vorladen, für den Fall dass die Gegenseite ihre Vorladung wieder zurückziehen würde. Dieses Gespräch lief insgesamt sehr viel professioneller ab. Ich wurde angerufen, mir wurde alles erklärt und ich wurde gefragt, wann ich denn zu Hause sei, damit man mir die Vorladung überbringen könne.
Übermorgen sollte es soweit sein, der erste Gerichtstag. Doch dann kamen gestern zwei Anrufe, von den Anwälten beider Seiten. Sie hatten sich außergerichtlich geeinigt und es würde nicht zu einer Gerichtsverhandlung kommen. Alles war abgeblasen.
Schade eigentlich.
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